Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu religiösen und weltanschaulichen Strömungen

Informationen P

ProChrist / Evangelikales Christentum

ProChrist

Vom 18. März bis 26. März 2006 fand die zentrale Veranstaltung zu ProChrist 2006 in der Olympiahalle in München statt. Die Erzdiözese München und Freising hat sich nach sorgfältiger Abwägung gegen eine Beteiligung entschieden (vgl. hierzu schon die Presseerklärung vom 14.04.2005).

Nachfolgend wollen wir Informationen zu ProChrist und zum evangelikalen Christentum weitergeben einschließlich Hinweise, wo und wie Sie weitere Informationen zu ProChrist erhalten können. Es sollen aber auch die Gründe für unsere Entscheidung, uns nicht an der Aktion zu beteiligen, aufgezeigt werden.

Um Missverständnissen von vornherein zu begegnen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei ProChrist nicht um etwas "sektiererisches" handelt oder etwas, dass man "bekämpfen" müsse. Vielmehr wollen wir mit unseren Ausführungen die (theologischen) Gründe darlegen und zur vertieften theologischen wie pastoralen Auseinandersetzung anregen. Weiterführende Links und Literaturhinweise sind diesem Ziel verpflichtet. Sollten Sie Anregungen, Kritik oder Fragen haben, stehen wir Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.

Axel Seegers
Februar 2006

Handreichung mit Informationen und theologischen Überlegungen zur Aktion ProChrist 2006 vom 18. – 26. März 2006 in der Olympiahalle München (vgl. Beilage zum Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising 2/2006)

Literaturhinweise

Anregungen für die eigene Spiritualität / Pastoral

weiterführende theologische Hintergrundinformationen
(u.a. Barmer Erklärung, Lausanner Erklärung, Manifest von Manila)

zum Verein ProChrist

 

ProChrist – Evangelisierung mit Eventcharakter 

ProChrist ist eine alle zwei bis drei Jahre stattfindende Veranstaltung, die von einem zentralen Veranstaltungsort aus in alle beteiligten Gemeinden europaweit gleichzeitig übertragen wird. Ziel ist es, Menschen zur Umkehr zu rufen und für Christus zu gewinnen. Die Initiative begann in Deutschland 1993 mit der ersten Satelliten-Übertragung aus der Grugahalle Essen, wo der amerikanische Baptistenpastor Dr. Billy Graham sprach. ProChrist wird vom gleichnamigen Verein (ProChrist e.V., Kassel) getragen und von diesem und den teilnehmenden Gemeinden finanziert. Vom 18. bis 26. März 2006 fand die zentrale Veranstaltung in der Olympiahalle in München statt. Moderiert von Jürgen Werth stand die Predigt von Ulrich Parzany im Mittelpunkt der Reihe, unterstützt durch Theaterstücke und christliche Popmusik auf professionellem Niveau. Das Vor- und Nachprogramm, das die Übertragung aus der Olympiahalle umrahmte, wurde von den beteiligten Gemeinden vor Ort selbst gestaltet.

ProChrist betont, nicht an eine bestimmte Kirche gebunden zu sein, und folgerichtig wird die Idee favorisiert, dass unterschiedlichste Gemeinden an einem Ort sich darauf verständigen, gemeinsam die Evangelisationsveranstaltung durchzuführen: „Gemeinden praktizieren die Gemeinschaft, die im Mitteilen und Teilnehmen besteht.“

Da ProChrist „Jesus zum Stadtgespräch“ machen möchte, hält man das Verlassen kirchlich angestammter Räume zumindest für bedenkenswert und erhofft sich eine größere Resonanz, wenn in Shoppingcentern oder anderen „modernen Marktplätzen“ das Evangelium verkündet wird. Die Evangelisation erhält so einen starken Eventcharakter.

Zielgruppen bei ProChrist

Die Initiative ist von der Idee getragen, dass „möglichst viele Menschen in Deutschland (...) das Evangelium von Jesus Christus hören.“ ProChrist möchte „die Gemeinden unterstützen, das Evangelium den Menschen, die noch nicht an Jesus Christus glauben, weiterzusagen.“ Christen gleich welcher Konfession sind aufgerufen, sich mit anderen Christen zusammenzuschließen und gemeinsam den Rahmen zu bereiten, in dem – als Höhepunkt – die Übertragung aus der Olympiahalle eingebettet sein wird.

Für die Kinder gibt es ein eigenes „ProChrist für Kids“, das auf die Zielgruppe der 6-11-jährigen Schulkinder abzielt. Neben einer DVD mit passendem Programm für 1 – 2 Kindernachmittage und einer Musik-CD bildet den Höhepunkt eine Live-Übertragung von ca. 30 Minuten aus der Münchner Olympiahalle.

Jugendliche möchte man mit dem Projekt „Jesus House“ erreichen. Mit einem an die Zielgruppe angepassten Programm soll zeitlich versetzt „die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus und die Förderung des christlichen Glaubens in Deutschland und Europa" vorangetrieben werden.

Themenschwerpunkt und Organisation

Der thematische Schwerpunkt von ProChrist 2006 lautete: „Vom Zweifeln zum Staunen. Wer geht mit?“ Die Hauptveranstaltung war wie üblich eingebunden in ein größeres Konzept: Seit Oktober 2004 wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt. Auch die Anmeldung lief seit diesem Zeitpunkt. Zur Vorbereitung auf die Hauptveranstaltung gab es ProChrist-Seminare sowohl für die mitmachenden Gemeinden als auch für einzelne Christen. Hier sollten durch „Anregungen, Erfahrungsaustausch und Beispiele Wege in der Gemeindearbeit und in der Vorbereitung für ProChrist“ geleistet werden. Schließlich gab es auch Angebote zur Nacharbeit.

Die Teilnahme bei ProChrist geht mit der Erwartung einher, dass die Veranstaltungsreihe nicht losgelöst von der normalen, alltäglichen Seelsorge- und Gemeindearbeit stattfinden kann; vielmehr wird eine sinnvolle Integration erwartet. So heißt es in der Verpflichtungserklärung:

  1. Als Veranstalter erklären wir uns bereit, ProChrist entsprechend dieses Konzeptes durchzuführen. Schwerpunkte dabei sind die Einrichtung eines Trägerkreises mit Arbeitsgruppen, Gebet und das Gemeindeseminar.
  2. Wir versuchen die ganze Gemeinde an ProChrist zu beteiligen und viele Mitarbeiter entsprechend ihrer Gaben einzusetzen. Wir entsenden möglichst viele Mitarbeiter zu den entsprechenden Seminaren.
  3. Zur Motivation führen wir ProChrist-Impulse durch und möglichst auch das Kinder- und Familienprogramm "ProChrist für Kids".
  4. Wir führen die ProChrist-Veranstaltungen mit einem eigenen Rahmenprogramm durch und übernehmen die gesamte Übertragung aus München.
  5. Unsere Mitarbeiter bereiten sich für die Seelsorge vor und bieten zur Weiterführung einen Nachfolgekurs und Glaubensgespräche an.
  6. Zum Abschluss erstellen wir einen Finanzbericht, den wir auch bis Sept. 2006 der ProChrist-Geschäftsstelle zur Verfügung stellen.
  7. Wir spenden 20% unseres lokalen Budgets für die Beteiligung an den ProChrist-Gesamtkosten an den ProChrist e.V.. Nach Deckung der eigenen Kosten stellen wir alle weiteren für ProChrist gesammelten Spenden und Kollekten für die Gesamtkosten zur Verfügung.

Der theologische Hintergrund – Anfragen aus katholischer Sicht

Ökumene oder Überkonfessionelles Angebot?

ProChrist ist schon alleine deshalb keine ökumenische Veranstaltung, weil den beteiligten Gemeinden keine Möglichkeit gegeben wird, Einfluss auf Inhalte und Programmgestaltung der Satellitenübertragung zu nehmen. Vielmehr muss das Programm aus der Olympiahalle en bloc übernommen werden; einzig das Rahmenprogramm liegt in der Verantwortung der beteiligten Gemeinden. ProChrist ist ein überkonfessionelles Aktionsbündnis verschiedenster Christen und christlicher Gruppierungen mit deutlich evangelikaler Ausrichtung.

Es macht daher Sinn, auf weitere theologische Unterschiede zwischen der katholischen Kirche und der Position von ProChrist mit den daran beteiligten unterschiedlichen christlichen Gemeinden einzugehen:

Evangelisation und Kirchenverständnis: ProChrist ist ein gemeinnütziger Verein, der sich „die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus und die Förderung des christlichen Glaubens in Deutschland und Europa“ als Zweck und Ziel gesetzt hat. Für das theologische Fundament ist die Evangelische Allianz Deutschlands maßgebend. Entsprechend sind Verkündigung und Glaubensgrundlage evangelikal ausgeprägt. Das spiegelt sich nicht nur in Sprache und Texten, in Liedern und Gebeten wider, sondern in der gesamten Prägung: Hier sind Gläubige tätig, die sich als „wiedergeborene Christen“ verstehen. In Gottesdienst und Predigt wollen sie die Menschen, gleich welcher Denomination oder religiösen Einstellung, zu Umkehr und Bekenntnis für Jesus Christus aufrufen.

Aus katholischer Sicht ist gegen dieses Konzept einzuwenden, dass Verkündigung des Evangeliums und Ruf in die Nachfolge Jesu Christi nie ohne konkreten Bezug zur Kirche möglich ist. Dem Ruf in die Nachfolge Christi folgen geht notwendig einher mit der Eingliederung in die Gemeinschaft der Glaubenden und mit der Feier der Sakramente. Die Frage nach dem, was Kirche ist, kann daher im Gespräch mit Menschen, die am Glauben interessiert sind, aber noch keiner kirchlichen Gemeinschaft angehören, nicht ausgeblendet werden.

Darüber hinaus ist das Verhältnis der beteiligten Gemeinden zur katholischen Kirche oft zwiespältig. Zum einen wird die katholische Kirche mit ihren Sakramenten und ihrem Amtsverständnis, aber auch mit ihrer Deutung der Tradition abgelehnt und nicht selten als vom reinen Wort Gottes abgefallen bezichtigt. Zum anderen wird betont, dass man mit den einzelnen Katholiken sehr wohl beten und gemeinsam die Bibel lesen kann. Vor allem deshalb hat sich die Erzdiözese gegen eine Beteiligung an ProChrist ausgesprochen.

Alle Verkündigung ist aber nicht nur an eine konkrete Glaubensgemeinschaft gebunden. Auch die unterschiedlichen theologischen Gewichtungen und Herangehensweisen (z.B. an die Bibel oder an Jesus Christus) und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Gottesbild, das Menschenbild oder das Weltbild prägen entscheidend die Art und Weise der Verkündigung:

Bibelverständnis: Evangelikale Christen sehen zwar die Bibel als Gottes Wort, lösen sie aber aus der lebendigen Tradition, Liturgie und lehramtlichen Verkündigung. Sie gehen von der Verbalinspiration aus und stehen deshalb der historisch-kritischen Exegese skeptisch bis ablehnend gegenüber. Christlicher Glaube ist nach katholischem Verständnis keine Buchstabenreligion, sondern die Religion des Wortes, das Mensch geworden ist und in Wort und Tat in der Gemeinschaft der Kirche lebt.

Sündenverständnis: Die Überzeugung von der grundsätzlichen Sündhaftigkeit und Schuld jedes Menschen ist im evangelikalen Christentum ausgeprägt und erfährt eine Betonung, die für den katholischen Glauben nicht nachvollziehbar ist. Im Gegensatz zu den medial aufgepeppten Veranstaltungen ist die evangelikale Verkündigung bestimmt von der Sündenverfallenheit jedes Menschen, die Gottes Zorn und Verdammnis nach sich zieht.

Soteriologie: Die Erlösung aus der Sündhaftigkeit kann nach diesem Verständnis allein durch einen Gnadenakt Gottes erfolgen, der ohne die Vermittlung der Kirche geschieht. Daher ist die evangelikale Theologie stark ausgerichtet auf die persönliche Glaubensentscheidung und der vorausgehenden, individuell vollzogenen Bekehrung, bei der die Gemeinschaft der Glaubendenen eine unbedeutende Rolle spielt. Für das persönliche Glaubensleben braucht es die Gemeinschaft der Glaubenden nur in einem unterstützten Sinn. Die Taufe im sakramentalen Verständnis, vor allem die Taufe als Kind, wird deshalb kontrovers gesehen.

Mission: Evangelikale Christen sehen es nicht nur als wichtig an, ihren Glauben gegenüber Nicht-Christen zu bezeugen, sondern auch gegenüber nicht-evangelikalen Christen. Deshalb richtet sich diese Evangelisierung auch an katholische Christen, wobei hier das Spektrum von guten persönlichen Gesprächen bis hin zur offenen Abwerbung reicht.

Absolutheitsanspruch: Andere Religionen werden als Irrwege abgelehnt. Nur das klare Bekenntnis und die eindeutige Hinwendung zu Jesus Christus sind unbedingte Vorbedingung für eine Erlösung.
Für Christen, die keine persönliche Glaubensentscheidung getroffen oder Bekehrung erlebt haben (sog. Namenschristen im Gegensatz zum Erweckungschristentum) wird die Erlösung in Zweifel gezogen!

Weltverständnis: Aufgrund des Absolutheitsanspruches und des oftmals unkritischen Bibelverständnisses mündet die evangelikale Theologie in einen Dualismus, der Welt und Zeitgeist abfällig-kritisch bewertet. Obschon Evangelikale – im Vergleich zur katholischen Kirche – sehr offen und professionell die technischen Errungenschaften für sich und ihr Anliegen der Evangelisation zu nutzen wissen, sind sie geneigt, naturwissenschaftliche Erkenntnisse aufgrund ihres Bibelverständnisses abzulehnen, da Widersprüche vermutet werden.

Natürlich kommen bei ProChrist und den beteiligten Gemeinden nicht alle hier aufgelisteten Aspekte gleichermaßen zum Tragen. Allerdings muss erinnert werden, dass sie die Grundlage bilden für Grund und Ziel von ProChrist. Schließlich ist zu bedenken, dass ProChrist darauf abzielt, verschiedenste Gemeinden zusammen zu bringen; Gemeinden, die zur evangelisch-lutherischen Landeskirche gehören genauso wie Gemeinden, die zum größten Teil aus dem evangelikalen Spektrum kommen und mehr oder weniger fundamentalistische Positionen vertreten. Ein isoliertes Bekenntnis zu Jesus Christus (nach dem Motto „Wir glauben doch alle an Jesus als unseren Herrn und Erlöser“) reicht nicht aus. Eine qualifizierte Betrachtung von Theologie und Bibel, aber auch hinsichtlich der sich daraus ergebenen Folgen für das Gottes-, Welt- und Menschenbild ist unabdingbar!