Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu religiösen und weltanschaulichen Strömungen

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Sinnstiftung

Keine Kooperationen mit der Sinn - Stiftung

Aufgrund zahlreicher Rückfragen wie auch kritischer Anfragen zur „Sinn-Stiftung“ wurde der Fachbereich im Jahr 2011 vom Erzbischof der Erzdiözese München und Freising mit der Prüfung des Angebotes und seiner weltanschaulichen Hintergründe beauftragt. Ein Ergebnis dieses Prüfungsprozesses war der nachfolgende Artikel auf dieser Seite, welcher im Frühjahr 2013 veröffentlicht wurde. Da es in den letzten Monaten und Jahren zu einigen personellen wie rechtlichen Veränderungen gekommen ist, folgt zunächst eine aktuelle Einschätzung:

Die "Sinn-Stiftung" (www.sinn-stiftung.eu bzw. www.sinn-stiftung.de) mit Sitz in 81371 München versteht sich als Stifter und Begleiter von Entwicklungen in der Gesellschaft, von Unternehmen und Einzelpersonen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Bereich der Bildung und der Verbesserung bzw. Revolutionierung des bestehenden Bildungssystems.

Lange Zeit war die Sinn-Stiftung eng mit dem Namen und Wirken von Prof. Dr. Gerald Hüther verbunden, welcher als ehrenamtlicher Präsident fungierte und insbesondere die neurowissenschaftliche Begründung der Bildungsthesen prägte. 2013 hat Herr Hüther seine Präsidentschaft niedergelegt und damit direkte Verbindungen zur Stiftung aufgelöst. Der veröffentlichte Artikel bezieht sich daher auf den Zeitraum bis Mai 2013. Weiterhin ist Adelheid Tlach-Eickhoff, ehemaliges Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin der Stiftung, 2014 offiziell aus der Sinn-Stiftung ausgeschieden. Alleiniger Vorstand der Sinn-Stiftung ist seit diesem Zeitpunkt der Stiftungsgründer Christian Rauschenfels.

Die Sinn-Stiftung betont in ihrem Selbstverständnis die Funktion als Netzwerk und nennt als Schwerpunkt die Förderung und Begleitung sogenannter „LebensLernOrte“. In diesem Netzwerk firmieren zahlreiche und unterschiedlichste eigenständige Organisationen und Initiativen, die von der Stiftung vermarktet werden.

Die Webseite der Sinn-Stiftung (www.sinn-stiftung.eu bzw. www.sinn-stiftung.de) ist seit einiger Zeit nicht mehr erreichbar, ebenso die Webseite der LebensLernOrte (www.lebenslernorte.de). Sowohl auf der Facebook-Seite als auch auf dem Twitter-Kanal der Stiftung gibt es seit 2016 keine neuen Einträge. Insofern ist über aktuelle Entwicklungen der Sinn-Stiftung nichts bekannt.

Für Einrichtungen der Erzdiözese ist eine Kooperation mit der Sinn-Stiftung aufgrund einer Vielzahl weltanschaulicher, pädagogischer und konzeptioneller Anfragen nicht möglich. Zu den inhaltlichen Anfragen mag der folgende Artikel, trotz zeitlicher Begrenztheit, aufschlussreich sein.

Axel Seegers
Mai 2018

Zur Erläuterung

- eine kurze Erläuterung (Zusammenfassung)

- eine ausführliche Darstellung als html oder als pdf-Version

- die Literaturhinweise zu Neurowissenschaften und zum Artikel

 

 Gerald Hüther und die Sinn-Stiftung – eine kurze Erläuterung


Der Siegeszug der Neurowissenschaften hat in den letzten Jahren ein beeindruckendes Ausmaß angenommen und längst die Universitätslabore hinter sich gelassen. Wenn im öffentlichen Diskurs die Vorsilbe Neuro- fällt, dann ist meist nicht von molekularbiologischer Zellforschung die Rede, nein, dann geht es vielmehr um Gehirnoptimierung (Neuro-Enhancement), Unternehmensstrategien (Neuromarketing) oder um das Bildungswesen (Neuropädagogik). Neben der umfangreichen Grundlagenforschung hat sich längst ein populärwissenschaftlicher „Neurozweig“ entwickelt, dessen Vertreter mühelos die oberen Ränge der Spiegel-Bestsellerlisten mit ihren Neuausgaben besetzen.

Was sich an diesen Spitzenplätzen jedoch nicht ablesen lässt, ist die oftmals große Lücke zwischen tatsächlichem Forschungsstand und Bestseller. Denn obgleich der neurowissenschaftlichen Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten erstaunliche und weitreichende Erkenntnisse geglückt sind (man denke beispielsweise an die Entdeckung von neu entstehenden Nervenzellen im Gehirn Erwachsener, an die Entdeckung von Nervenzellen, die auf Signale von anderen Personen reagieren und somit „spiegeln“ usw.) und es vielversprechende Projekte gibt (zum Beispiel zur Behandlung von Alzheimer), bleiben konkrete praktische Schlussfolgerungen für unseren Alltag auf diesem Gebiet eine Rarität. Der Grund dafür liegt eigentlich auf der Hand: auch die Entdeckung von einigen schillernden kleinen Bauteilchen kann nicht das große System „Gehirn“ (oder „Mensch“) erklären, dessen Ausmaß und Funktionsweise uns immer noch weitgehend unbekannt ist. Erst recht sind allgemeinverbindliche Empfehlungen für Erziehung, Therapie oder Unterricht nicht mühelos und eindeutig ableitbar. Anders als die Bestseller glauben machen wollen, bleibt das festzuhalten, was die Zeit Online schon 2009 zusammenfassend bemerkte: „Der Mensch bleibt sich ein Rätsel“¹.

Nichtsdestotrotz machen einige Buchautoren vor allem im ideologisch sowieso immer schon aufgeheizten Bildungsbereich mit neurowissenschaftlichen Themen Furore. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther zählt hierzu. Seine Liste an Aktivitäten ist beeindruckend lang, sie reicht von Ratgeberliteratur („Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“) über zahllose Interviews, Fernsehauftritte und Vorträge (wie beispielsweise in der Roadshow „Lernlust statt Schulfrust“, welche Anfang 2013 in mehreren deutschen Städten gastierte) bis hin zum Vorsitz der Sinn-Stiftung.

Die Sinn-Stiftung

Diese Initiative hat sich eine „Kultur der Potentialentfaltung“ zum Ziel gesetzt und ist in denkbar vielen Bereichen engagiert: für jeden ist etwas dabei, seien es pädagogische Förderprogramme, Unternehmensentwicklung oder Selbstfindungskurse für Männer. Die Beschreibung dieser Programme und Zielsetzungen und damit die gesellschaftliche Werthaltung erfolgen oftmals einseitig-naiv, indem Bisheriges komplett abgewertet wird und nur noch die eigenen Einsichten und Methoden als einzig angemessen vorgestellt werden. Ungerechtfertigte Vergleiche wie der, dass der Präsident in einem Interview das jetzige Schulsystem mit der NS-Zeit in einen direkten Zusammenhang stellt, mögen die Spitze des Eisberges bilden, sind aber keineswegs die Ausnahme provozierend-vereinfachender Kommentare.

Die Sinn-Stiftung selbst versteht sich als eine „gemeinnützige, religiös und politisch unabhängige Stiftung öffentlichen Rechts zur Unterstützung von Projekten und Initiativen, die deutlich machen, wie es gelingen kann, dass Menschen gemeinsam über sich hinauswachsen.“ Der Präsident der Stiftung, Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther, ist Leiter der „Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen“, welche jedoch – anders als es die Webpräsenz vermuten lässt - eine eigenständige Einrichtung darstellt, die ausschließlich von Herrn Hüther verantwortet wird. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied zahlreicher weiterer Netzwerke und in vielen Institutionen als wissenschaftlicher Beirat aufgeführt.

Gründer und Vorstandsvorsitzender ist der ebenfalls bestens vernetzte Christian Rauschenfels, ebenfalls Mitglied im Vorstand ist Adelheid Tlach-Eickhoff. In Österreich wird die Stiftung durch Peter Schipek vertreten.

Der frühere Vertreter in der Schweiz, Urs Hauenstein, ist mittlerweile von den Seiten der Sinn-Stiftung getilgt. Dabei dürften nicht zuletzt die Schlagzeilen rund um falsche Titel (Hauenstein bezeichnete sich vormals als Prof. Dr. h.c.) eine Rolle gespielt haben. Unklarheiten bestehen außerdem über das Netzwerk rund um Hauenstein, in welchem auch der Name Hüther häufiger zu finden war.

Sind schon die Personalia schwer zu durchblicken, so wird es auch mit der Struktur der Sinn-Stiftung nicht besser. Das Netzwerk enthält sowohl untergeordnete Systeme (Win-Future-Projekt, Schulen der Zukunft, project peace und viele weitere Initiativen) als auch einen illustren Wissenschafts- und Praxisbeirat, über dessen konkrete Tätigkeit eigentlich nichts bekannt wird. Gezielte Rückfragen ließen zudem den Verdacht aufkommen, es handele sich um eine ambitionierte Sammelpraxis von gesellschaftlich bekannten Namen. Die Vielzahl und vor allem Vielfalt an Projekten (es wird unterschieden in Initiativen und Partner), die unter dem Namen der Sinn-Stiftung beworben werden weisen wiederum darauf hin, dass es sich in den meisten Fällen um ein reines Labeling handelt – ein externer Anbieter lässt sein Projekt unter dem Namen der Sinn-Stiftung (und vor allem dem Namen Hüther) vermarkten, im Gegenzug wächst der Umfang des Netzwerkes der Sinn-Stiftung immer weiter an. Einfacher ausgedrückt: eine Hand wäscht die andere. Das an sich wäre nicht so sehr das Problem, fraglich ist jedoch, wo an dieser Stelle die Qualitätssicherung und die Transparenz für den interessierten Kunden bleibt. Erst recht erscheint einem das verwunderlich, wenn man die relativ geringe Zahl an Mitgliedern in der Stiftungsleitung (nicht in den Beiräten) mit der Fülle an Angeboten vergleicht. Die kürzlich aufgetretenen Missbrauchsvorwürfe in Bezug auf eines der Prestigeprojekte der Stiftung selbst (Almprojekt für Kinder mit ADHS) deuten hier bestenfalls auf gewisse Probleme hin.

Inhaltlich lässt sich eine gewisse polemisch-provokative Grundhaltung des Präsidenten und der Stiftung erkennen. So ist das bereits erwähnte Alm-Projekt als Gegenentwurf zu den konventionellen Behandlungsformen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu sehen. Hüther vertritt dabei die Ansicht, dass erstens ADHS nicht als Krankheit anzusehen sei (sondern als Ansammlung von kindlichen Symptomen) und zweitens das gängige Medikament zur Behandlung, Ritalin, nicht hilfreich, sondern vielmehr gefährlich sei. Stattdessen bietet die Sinn-Stiftung einen (angeblich neurowissenschaftlich fundierten) mehrwöchigen Almaufenthalt für betroffene Kinder und Jugendliche an. Dies ist als ausschließlicher Gegenentwurf zu betrachten, weshalb die Teilnehmer beispielsweise keine Medikamente während dieser Zeit einnehmen dürfen. Ganz abgesehen von den zahlreichen Gegenargumenten, die man von fachlicher Seite dieser Sichtweise entgegenhalten könnte, einen Effekt hat der Aufenthalt auf der Alm eher nicht: eine Hilfestellung für Jugendliche, mit den Anforderungen von Schule und Gesellschaft zurechtzukommen – was das zentrale Problem bei dieser Symptomatik darstellt. Mit Dualismus allein lässt sich dieses Problem leider nicht auflösen.

Weitere Beispiele für diese vereinfachende und verzerrende Argumentationsweise lassen sich leider leicht finden. Ein gern gewähltes Thema ist dabei stets das Bildungswesen. Auch hier setzt sich ein recht einfaches Konzept durch, welches klar in schwarz (bisheriges Schulsystem) und weiß (der eigene Vorschlag) trennt. Der eigene Vorschlag besteht dann beispielsweise wiederum aus einer bunten Mischung von Elementen aus Reformpädagogik, neurowissenschaftlicher Beweisführung und weiteren Netzwerkpartnern (einige sind eher in der Esoterikszene anzusiedeln) und mündet in leider nicht selten in populistischen Forderungen (Schüler sollten nur noch das lernen, was sie interessiert etc.). In der achten Klasse mag das verlockend klingen, auf längere Sicht muss man sich allerdings nach der Ernsthaftigkeit solch eines Vorschlags fragen. Auch bleibt kritisch anzufragen, ob alle von der Sinn-Stiftung vorgestellten Konzepte nicht nur dem Motto verpflichtet sind, LebensLernOrte zu etablieren, wo Menschen ihre eigenen Potenziale entfalten können, sondern inwieweit die inkorporierten Konzepte auch dem eigenen Anspruch genügen, den „modernen hirnpsychologischen, neurobiologischen und psychologischpädagogischen Erkenntnissen“ (Satzung) zu entsprechen. Der Verweis auf die längst bekannte Erkenntnis, dass das Gehirn prinzipiell fähig zur Veränderung ist, genügt sicherlich nicht. Während sich diese Anpassungsfähigkeit nämlich prinzipiell und für eng umgrenzte Gebiete vielfach gezeigt hat, steht ein Beleg für eine komplette Bildungstheorie auf der Basis der Veränderungsfähigkeit aus und wird das wohl bis auf Weiteres auch bleiben.

So schön also die neue Welt des Herrn Hüther und seiner Sinn-Stiftung auch klingen mag: die neurowissenschaftlichen oder neurobiologischen Forschungsergebnisse alleine können nicht die weitreichenden pädagogischen, psychologischen, medizinischen oder therapeutischen Konzepte begründen. Der Denkfehler liegt dabei nicht im Detail, sondern ist von grundsätzlicher Natur: das Zusammenspiel der Neuronen im Gehirn erklärt leider nicht das ganze Universum. Darauf haben schon der international anerkannte Neurowissenschaftler M.R.Bennet und der Philosoph P.M.S. Hacker hingewiesen und die unzulässige verallgemeinernde Ableitung als „mereologischen Fehlschluss“ enttarnt.

Eigentlich schade, dass ein so vielversprechender Forschungszweig wie die Neurowissenschaft in der Öffentlichkeit damit so reduziert wahrgenommen wird.

Axel Seegers
2013

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1 Der Mensch bleibt sich ein Rätsel. Ein Gespräch mit dem Tübinger Philosophen Manfred Frank über die Illusionen der Hirnforschung und ihre zweifelhaften politischen Folgen. vgl. Der Mensch bleibt sich ein Rätsel (abgerufen am 02.04.2013)

 

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