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Die Neuapostolische Kirche

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Neues aus der Neuapostolischen Kirche (NAK)

Der neue Katechismus - das 2. Vatikanische Konzil der Neuapostolischen Kirche ?!?

 

Die Neuapostolische Kirche hat 2012 ihren von Fachleuten lang erwarteten neuen Katechismus veröffentlicht. Schon nach wenigen Wochen sind die ersten beiden Auflagen vergriffen und der dritte Nachdruck ist in Arbeit. Man ist sichtlich stolz auf das 500 seitige Werk und hat, laut eigenen Angaben, in einem ersten Versand nicht nur fremden Theologen und Kirchenvertretern, sondern auch Vertretern in Politik und Gesellschaft bis auf Landkreisebene die gedruckte Glaubensgrundlage zugesandt.

Wenn man den Katechismus als „neu“ bezeichnet, ist dies nicht ganz zutreffend, weil es eigentlich der erste Katechismus dieser Art innerhalb der Neuapostolischen Kirche ist. Zuvor gab es stattdessen verschiedene Sammlungen von Bekenntnistexten und Positionen, etwa die "Fragen und Antworten", die viele Glaubensüberzeugungen bisher relativ kurz und bündig zusammen fassten, mit dem Erscheinen des Katechismus jedoch ihre Gültigkeit verlieren.

Die Erarbeitung eines derartigen Kompendiums des neuapostolischen Glaubens wäre ja schon als solche eine beachtenswerte Leistung. Doch angesichts mancher Korrekturen auch zentraler Glaubensaussagen begibt sich die Neuapostolische Kirche wohl in eine spannungsreiche und offene Zukunft. Entscheidend wird nämlich sein, ob und wie die Neujustierungen in den Gemeinden vor Ort zur Kenntnis genommen, rezipiert und umgesetzt werden. Zwar gab es 2011 schon eine erste Korrektur mit der Veröffentlichung der „Glaubenssätze“, doch scheint bis heute die Auseinandersetzungen mit den Lehrentwicklungen innerhalb der NAK-Gemeinden sehr unterschiedlich, vornehmlich aber doch sehr verhalten zu sein. Mit dem Erscheinen des Katechismus, aber auch mit der ökumenischen Öffnung, die seitens der Kirchenleitung seit Jahren massiv betrieben wird, sind nun Pflöcke eingeschlagen, die ohne Selbstbeschädigung nicht mehr herauszuziehen sind und damit über kurz oder lang die Gemeinden herausfordern werden.

 

 

 

War das Selbstverständnis der Neuapostolischen Kirche seit ihrer Gründung beispielsweise durch einen Exklusivismus geprägt, der allen anderen Kirchen ihr Kirchesein und deren Heilsrelevanz bestritt, sind nun ganz neue Formulierungen anzutreffen: man versteht sich als Kirche inmitten vieler anderer Gemeinden der einen Kirche Jesu Christi. Sonderlehren, wie die Überzeugung, dass neuapostolische Christen, die das Sakrament der Versiegelung empfangen haben, als Brautgemeinde vor der Wiederkunft Jesu Christi entrückt würden, werden heute vorsichtig relativiert, obschon hier für den theologischen und ökumenischen Diskurs noch vielfältige Fragen kritisch zu bedenken bleiben. Dies gilt vornehmlich für die eschatologischen Lehraussagen, also für die Frage, wie man sich das Ende der Schöpfung und die Wiederkehr Jesu Christi vorzustellen habe, mit welcher Relevanz apokalyptische Bilder geglaubt werden und wieweit es eine frohmachende Botschaft für alle Menschen geben kann.

Letztlich steht die NAK vor der Frage, wie sie es mit der Aufklärung bzw. der Moderne im Allgemeinen und mit einer kritischen wissenschaftlichen Theologie im Besonderen hält. Wissenschaftlich betriebene Theologie (und Philosophie) wurde über viele Jahrzehnte eher verächtlich als unnütz und für den Glauben irrelevant abgelehnt. Nicht nur, weil man sich nun mit der Öffnung dem ökumenisch-theologischen Diskurs stellt und insofern sprachfähig werden muss, hat sich die Kirchenleitung Gedanken zu machen, wie sie ihre Mitarbeiter und letztlich ihre Gemeinden qualifizieren und strukturelle Voraussetzungen schaffen kann. Sondern auch, weil das begonnene Projekt ohne eine kritische Theologie zum Scheitern verurteilt wäre. Nur wenn es der Stammapostel mit seiner Kirchenleitung schafft, diese kritisch-rationalen Diskurse zu ermöglichen und für die gesamte Kirche fruchtbar zu machen, wird der neue Weg von Dauer sein. Zugleich aber dürften mit dem Eintritt in einen rationalen theologischen Diskurs, der das Prädikat „Wissenschaft“ verdient, die Spannungen innerhalb der Kirche deutlich stärken werden: gerade für eine Glaubensgemeinschaft, die so zentral von der Offenbarung des Johannes konzipiert ist, die - zumindest bisher - von einer wortwörtlich verstandenen Apokalyptik begründet ist, werden die Ergebnisse einer historisch-kritischen Wissenschaft existentielle Verwerfungen mit sich bringen. Wenn das Selbstverständnis der Kirche nicht mehr exklusivistisch geprägt ist, in der Folge das Apostelamt nicht mehr alleiniger Garant für das Heil ist, es vielmehr weitere - legitime - Wege der Gottesbegegnung gibt, wenn die Gotteskindschaft auch Nichtversiegelten zugesprochen werden muss (auch wenn man es dann etwas anders benennen mag) und die exklusive Verheißung auf die Brautgemeinde irrelevant wird angesichts der sich als reine Spekulation bzw. rein bildliche Verstehensweise erweisenden apokalyptischen Vorstellungen, droht die Frage, was denn überhaupt das unterscheidend neuapostolische noch ist. Anders formuliert: pulverisiert sich nicht das genuin Neuapostolische, wenn die Sonderlehren sich exegetisch nicht erweisen lassen, wenn das Selbstverständnis fürderhin nicht mehr einzigartig ist - jedenfalls nicht im Sinne seiner Heilsbedeutung, wenn die dualistische Grundnote von heilbringender Apostelkirche einerseits und  Welt (mit deren Kirchen, Religionen und Weltanschauungen) andererseits an Zugkraft verliert?

Eine völlig andere Herausforderung erwächst der Neuapostolischen Kirche durch die sozialen Veränderungen. Zum einen leben 80% der Mitglieder dieser Kirche mittlerweile in den afrikanischen Ländern, was weitreichende Folgen hat für Themenschwerpunkte oder für finanzielle und personelle Ressourcen. Ferner dürften sich der Charakter des Glaubens und die theologische Herangehensweise nachhaltig verändern. Zum anderen wachsen in der Neuapostolischen Kirche immer mehr akademisch gebildete Mitglieder heran, die nicht nur studieren und akademische Auseinandersetzung gewöhnt sind, sondern diese auch von ihrer Kirche selbst erwarten und einfordern.

Die vielfältigen und zum Teil weitreichenden Veränderungen innerhalb der neuapostolischen Glaubenslehre haben sich seit geraumer Zeit angebahnt und haben ihren vorläufigen Höhepunkt in der Veröffentlichung des Katechismus gefunden. Nun beginnt eine neue Zeit für die Kirche. Große Herausforderungen warten auf die Amtsträger wie für die einzelnen Gläubigen. Insofern darf man die jetzige Situation der neuapostolischen Kirche mit der Situation der Katholischen Kirche mit und nach dem 2. Vatikanischen Konzil vergleichen. Das Konzil ist zwar schon vor über 50 Jahren in Rom eröffnet worden, erregt bis heute aber, und in den letzten Jahren sogar umso heftiger, die Gemüter. Die Umsetzung der Beschlüsse des Konzils ist bis heute noch nicht abgeschlossen und auch wenn Vieles bei den Gläubigen mittlerweile selbstverständlich ist, so bleibt doch Manches noch unerledigt. Zudem ist das Konzil für einige Gruppen zum Stein des Anstoßes geworden, der zu Spaltungen und heftigen Auseinandersetzungen bis beute führt.

Die Neuapostolische Kirche dürfte mit ihrem vielschichtigen Öffnungsprozess in eine ähnlich bewegte Zukunft gehen. Spannungen, Spaltungstendenzen und heftige Auseinandersetzungen müssen aber letztlich nicht von Nachteil sein - sie können auch Geburtswehen einer zukunftsfähigen christlichen Gemeinschaft werden.

Die Kirchen und Gemeinschaften, die in den Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen (AcK) ökumenisch verbunden sind, sollten diesen Öffnungsprozess wohlwollend nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch konstruktiv begleiten. Ob das schon mit Gastmitgliedschaften auf regionaler, lokaler oder bundesweiter Ebene adäquat sinnvoll ist, muss eigens geprüft werden. Doch unabhängig von dieser Frage stehen die Ökumenischen Kirchen in der Pflicht, den Dialog zu suchen und Möglichkeiten des Miteinanders auszuloten – auch, um den eingeläuteten Prozess konstruktiv und zugleich kritisch zu stützen.

Axel Seegers
22.02.2013

Ein ausführlicheres Interview mit dem Religionsreport zur aktuellen Situation der Neuapostolischen Kirche von Axel Seegers finden Sie hier: "Ökumenische Perspektiven mit dem Katechismus" 2013

 


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Einleitung

Die Neuapostolische Kirche (NAK) ist mit etwa 370.000 Mitgliedern die größte christliche Sondergemeinschaft in Deutschland. Sie hat wesentlich mehr Mitglieder als alle evangelischen Freikirchen zusammen. Weltweit bekennen sich heute etwa 11 Millionen Menschen zum neuapostolischen Glauben. Allein in den Jahren 1988 bis 1998 hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt. In Zentralafrika ist eine rasante Entwicklung der NAK zu verzeichnen, und auch in Osteuropa betreibt sie rege Mission. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind die Zahlen jedoch stagnierend bzw. leicht rückläufig.

Geschichte und Gegenwart

Die Wurzeln der NAK reichen in das England des 19. Jahrhunderts zurück, wo in den zwanziger Jahren starke Erweckungsbewegungen verbreitet waren. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution bzw. der Folgeerscheinungen der Industrialisierung Englands fanden sich vielerorts engagierte Christen zusammen, um auf biblischer Grundlage und im Gebet über die Wirren ihrer Zeit nachzudenken. So bildeten sich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die „Katholisch-apostolischen Gemeinden“. Ähnlich den fast zeitgleich in den USA entstandenen „Mormonen“ sahen diese Gemeinden sich als das „wiederaufgerichtete Erlösungswerk unseres Herrn“, als die wahre Kirche Christi in der Endzeit. In den Jahren 1832 bis 1835 wurden in diesen Gemeinden zwölf „Apostel“ berufen. Man war der Meinung, dass die „wahre Kirche Christi“ wieder von Aposteln geleitet werden sollte, und erwartete die Wiederkunft Christi praktisch täglich. Nachdem 1855 drei der Apostel verstarben, entstand Streit darüber, ob man neue Apostel berufen oder sich in den Gang der Ereignisse fügen sollte.

Die Auseinandersetzungen führten 1863 in Hamburg zur Abspaltung der „Allgemeinen christlichen apostolischen Mission“. Aus dieser Wurzel ist, über weitere Zerwürfnisse hinweg, die „Neuapostolische Gemeinde“ bzw. die „Neuapostolische Kirche“ entstanden. Die Geschichte der NAK ist seit ihren Anfängen von Lehrstreitigkeiten geprägt. Auch in unserem Jahrhundert haben sich von der NAK immer wieder Gruppen und Gemeinden abgespalten. Keine andere christliche Sondergemeinschaft hat eine solche Fülle von Abspaltungen erlebt.

Viele Jahrzehnte lebte die NAK in einer selbst gewählten Isolation. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Seit 1995 haben interne Veränderungsmaßnahmen, massive Kritik von Aussteigern und nicht zuletzt die durch das Internet gebotenen Möglichkeiten des Austauschs und der Informationsvermittlung erstaunliche Öffnungsprozesse in Gang gesetzt. Es ist unübersehbar, dass die Leitungsebene ihre Informationspolitik geändert hat. In den letzten beiden Jahren fanden weltweit übertragene Informationsabende statt, in denen die vorsichtige Öffnung der NAK dokumentiert wird. Alle Verlautbarungen sind im Internet einsehbar (www.nak.org).

Zur Lehre

Die NAK sieht sich selbst als „Fortsetzung der Urkirche“. Aus Sicht der NAK ist die wahre Kirche Christi an das Amt des Apostels gebunden. Die Apostel sind in den Augen der NAK heilsnotwendig, um die Gläubigen auf die erwartete Wiederkunft Christi vorzubereiten. Nach neuapostolischem Verständnis ist das Heil in besonderer Weise den durch die Apostel versiegelten Mitgliedern der NAK angeboten. Diese Überzeugung ist für das theologische Selbstverständnis der NAK grundlegend und trennt sie von den ökumenischen Kirchen, für die das biblische Apostelamt an die Beauftragung durch Jesus Christus gebunden und auf das Wirken in einer bestimmten Zeit begrenzt ist.

Nach einem neueren Text wird dem Stammapostel gar die Schlüsselvollmacht der „Verkündigung neuer Offenbarungen des Heiligen Geistes“ zuerkannt. Kritiker sehen hier eine besondere Schwäche der NAK, denn die Apostel sind durchweg Laien, die über keine wissenschaftlich-theologische Ausbildung verfügen. Es fehlt deshalb häufig an einem vertieften Umgang mit den biblischen Texten, und manche Auslegungen muten willkürlich an. Die Leitung der NAK scheint dieses Problem mittlerweile erkannt zu haben. Sie bietet neuerdings theologische Weiterbildungen für ihre Amtsträger an und motiviert zur Benutzung von Fachliteratur.

Kennzeichnend für die NAK ist vor allem die Vorstellung, dass Jesus Christus bald auf die Erde wiederkommen wird – für die einen als Retter, für die anderen als Richter. Nach dem aktuellen Verständnis der NAK gibt es zwei „Wiederkünfte“: Einmal zur Heimholung seiner Braut, zum zweiten Mal zur Aufrichtung seines Friedensreiches. Beides zusammen ist die
Erste Auferstehung, an der nicht nur versiegelte Brautseelen teilnehmen, sondern auch solche, die sich während der großen Trübsal zu Christus bekennen, d.h. die Märtyrer. Nach Ende des Friedensreiches kommt das Endgericht, in dem Gott allen Menschen nach ihren Taten Gerechtigkeit widerfahren lässt. Jedoch bietet Gott auch im Endgericht Heil an. Die NAK unterstreicht damit die Souveränität Gottes, der selbst bei der Heimholung der Braut Ausnahmen zulässt und auch Gläubigen, die nicht Mitglieder der NAK sind, Heil gewähren kann. Im Januar 2006 hat die NAK bei einem Informationsabend ihre bislang exklusiv formulierte Heilslehre dahingehend relativiert, dass sie gegenüber den anderen christlichen Kirchen eine Taufanerkennung ausgesprochen hat. Doch unterscheidet die NAK weiterhin zwischen der Wassertaufe („grundlegende Gnadenmitteilung des dreieinigen Gottes“) und einer Geisttaufe („Heilige Versiegelung“), die exklusiv an Gebet und Handauflegung eines Apostels gebunden bleibt. Die Bedeutung der Versiegelung wird daran ersichtlich, dass sie neben der Taufe und dem Abendmahl als drittes Sakrament betrachtet wird.

So sehr der Annäherungsprozess zu begrüßen ist, bleibt doch festzuhalten, dass die NAK nach wie vor an einigen Sonderlehren festhält, die es nicht erlauben, sie den Freikirchen zuzurechnen. Zu grundlegend sind die theologischen Differenzen in ihrem Kirchen- und Amtsverständnis oder in der Auffassung der stellvertretenden Sakramentenspende an Verstorbene. Einige Jahre lang wurden zwischen Vertretern der NAK und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Baden-Württemberg inoffizielle Gespräche geführt. Daraus resultierte eine „Orientierungshilfe“ zum praktischen Umgang mit der NAK vor Ort (http://www.ack-bw.de/dateien/NAK-ACK.pdf). Dennoch gilt: Derzeit gibt es keine ACKAufnahmegespräche mit der NAK. Zunächst steht im Vordergrund, sich auf lokaler Ebene gegenseitig besser kennenzulernen. Es besteht auch keine Abendmahlsgemeinschaft mit der NAK. Gemeinsame Gottesdienste und Segenshandlungen sind nicht möglich.

Das Apostelamt

Weltweit amtieren derzeit knapp 360 Apostel. Das Apostelkollegium ist hierarchisch aufgebaut: An der Spitze steht der sog. „Stammapostel“ mit Sitz in Zürich. Als das Haupt der Kirchewird Jesus Christus angesehen, der Stammapostel gilt als „das Haupt der Apostel“, als „oberste geistliche Autorität“. Sein Amt und Wort genießen höchstes Ansehen. Viele Jahrzehnte wurde der Stammapostel als „Repräsentant des Herren auf Erden” bezeichnet. Seit 1998 wird diese Bezeichnung nicht mehr verwendet, stattdessen bemüht man sich um eine differenzierte Beschreibung des Amtes.

In den 1950er Jahren wurde die Problematik dieses herausgehobenen Amtes besonders deutlich: 1951 verkündete der 80-jährige Stammapostel Johann Gottfried Bischoff, dass Jesus Christus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde. Diese Botschaft wurde jedoch nicht als persönliche Hoffnung des Stammapostels ausgegeben, sondern sie wurde in den Rang einer Heilswahrheit erhoben: Wer Bedenken anmeldete, wurde verstoßen. Heute kann man sagen, dass diese unselige Botschaft viel Verwirrung und Leid verursacht hat. In ihrer Folge kam es zum Ausschluss und zur Abspaltung einzelner Gemeinden. Als Bischoff 1960 starb, ging die Leitung der NAK erstaunlich schnell zur Tagesordnung über. Obwohl Bischoffs Irrtum offensichtlich ist, gilt in den Gemeinden die Überzeugung: „Wir halten daran fest, dass der Stammapostel sich nicht geirrt hat.“ Es ist bemerkenswert, dass auch die Arbeitsgruppe „Geschichte der NAK“ in ihrem Bericht vom November 2007 den Skandal der falschen Botschaft des damaligen Stammapostels übergeht.

Einschätzung

In der NAK ist in den letzten Jahren eine deutliche ökumenische Öffnung festzustellen. Diese lässt sich beispielsweise mit der in neuapostolischen Versammlungen verwendeten Bibelübersetzung (Luther 1984) oder der Angleichung des Vaterunsers an den EKD-Text belegen. Dennoch muss aus christlicher Sicht auf einige Probleme hingewiesen werden.
Die Praxis eines zeitgenössischen Apostelamtes ist fragwürdig, weil sich dafür keine biblische Begründung finden lässt.

Von großer Bedeutung für die NAK ist ihre Organisationsstruktur als (Glaubens-)Familie, in der jeder seinen Platz und seine Aufgabe hat. Doch Kritiker und Aussteiger haben sich besonders seit den 1990er Jahren zu Wort gemeldet und berichtet, dass die NAK ihre Mitglieder „überwacht, kontrolliert, unterdrückt“. Der „familiäre“ Charakter der NAK wird offensichtlich unterschiedlich erlebt: Positiv als das Erfahren von christlicher Gemeinschaft und von Verbindlichkeit, negativ als Kontrolle und autoritärer Druck. Aussteiger berichten von schweren Konflikten, zu denen die innere Bindung an die NAK führen kann. Sie kritisieren, dass die Art der Vermittlung der NAK-Glaubenslehren für viele Gläubige zum inneren und äußeren Problem wird, und sie haben erlebt, dass Amtsträger gemaßregelt wurden, die nicht lückenlos die Vorgaben der Apostel umsetzten.

Der Anspruch exklusiven Heils und die (drohende) Naherwartung der Wiederkunft Christi (als Weltenrichter) haben ebenfalls immer wieder Konflikte hervorgerufen. Denn im Verständnis der NAK begründet die Heilige Taufe nur ein „erstes Näheverhältnis“ zu Gott. Erst im Zusammenhang mit dem neuapostolischen Sakrament der Versiegelung erlangt der Gläubige die Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Nur gemeinsam vermitteln diese beiden Sakramente die Gotteskindschaft. Damit wird indirekt allen anderen Christen die volle Gotteskindschaft abgesprochen.

Das Sakrament der „Versiegelung“ und der mit eschatologischen Vorstellungen zusammenhängende Exklusivismus führen letztlich dazu, dass die NAK häufig als „Sekte“ wahrgenommen wird. Doch in jüngster Zeit ist viel Bewegung in die NAK gekommen. Man denkt neu über das Verhältnis zu den ökumenischen Kirchen und über den eigenen Exklusivitätsanspruch nach. Wohin der Weg führt, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Mehr wird man nach der Lektüre des neuen Katechismus’ sagen können, in den die Präzisierungen der neuapostolischen Heilslehre derzeit eingearbeitet werden und der 2010 veröffentlicht werden soll.


Dr. Andreas Fincke/Dr. Michael Utsch, im April 2009