Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
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Islam - Dialog der Religionen

Thesen

Einige Thesen zum Interreligiösen Dialog

Werner Höbsch, Köln

Globalisierung, moderne Kommunikationstechnologie und Migrationsbewegungen, um nur einige Gründe zu nennen, sorgen für wachsende Präsenz unterschiedlicher Kulturen und Religionen in einer Gesellschaft – weltweit und regional.
Der interreligiöse Dialog ist das Gebot der Stunde. Allerdings werden mit dem Begriff „Dialog“ viele, mitunter sich widersprechende Erwartungen verbunden. Die einen wissen schon im Voraus, dass der Dialog ins Leere zielt und bestenfalls eine „Alibifunktion“ übernimmt, andere sehen in jeder interreligiösen Begegnung das Wehen des Geistes und die Lösung aller Spannungen und Konflikte zwischen den Kulturen. Nüchternheit, Geduld und Standhaftigkeit sind im interreligiösen Dialog angezeigt, aber auch einige Klarstellungen.

Der interreligiöse Dialog findet immer in konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen statt, die ihre Auswirkungen auf das Dialoggeschehen haben. Globale und lokale Ereignisse finden in ihm ihren unmittelbaren Niederschlag. So berühren z.B. jede publizierte Äußerung eines islamischen Gelehrten in der Welt und jede Gewalttat eines religiösen Fanatikers die Veranstaltungen zum Dialog vor Ort. Die Nachrichten über solche Ereignisse führen zu Nachfragen, denen sich die im Dialog Engagierten zu stellen haben. Von den Beteiligten am Dialog wird Rechenschaft für jede Gewalttat abverlangt.

Aber: Wann soll denn der Dialog geführt werden und sich bewähren, wenn nicht in Krisenzeiten und angesichts von Schwierigkeiten?!

1. Das Ziel des interreligiösen Dialogs

1.1 Das Ziel des interreligiösen Dialogs ist strikt von dem des ökumenischen Dialogs unterschieden: Ist das Bestreben der Ökumene auf die Einheit im Glauben ausgerichtet, so gilt diese Zielsetzung nicht für den interreligiösen Dialog. Weder eine Welteinheitsreligion, noch ein Synkretismus werden im Dialog angestrebt. Auch wenn Gemeinsamkeiten entdeckt und herausgestellt werden, dürfen die Unterschiede nicht unter den Tisch fallen.

1.2 Dialog und Bekenntnis stehen sich nicht antagonistisch gegenüber, sondern gehören aus christlicher Sicht zusammen. Der interreligiöse Dialog hebt nicht die Wahrheit des Glaubens auf, sondern basiert auf ihr. Nicht die Verwurzelung in der Wahrheit des Glaubens, sondern seine Nivellierung führt den interreligiösen Dialog in Aporien. Wenn alles gleich gültig ist, ist der Dialog am Ende oder entwickelt sich zu einem belanglosen Plausch. Der Dialog tritt nicht an die Stelle des Glaubens, sondern setzt diesen voraus. Ohne Beheimatung im eigenen Glauben und in der eigenen Tradition ist ein interreligiöser Dialog nicht möglich.

1.3 Selbstverständliche Ziele des interreligiösen Dialoges sind: Kennenlernen des Glaubenswissens und der Glaubenspraxis anderer Religionen, Abbauen von Vorurteilen, Verstehen, Akzeptieren und Respektieren des Anderen, Felder gemeinsamen Handelns auf der Basis gemeinsamer Wertüberzeugungen entdecken, an der Gestaltung einer friedlichen Zukunft gemeinsam arbeiten.

 

2. Interreligiöser Dialog als Verkündigung

2.1 Der Dialog selbst ist Verkündigung, Verkündigung des Gottes, der den Dialog mit den Menschen immer wieder gesucht hat und auch heute sucht. Dialog und Verkündigung sind keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig, beide sind „authentische Elemente des kirchlichen Evangelisierungsauftrags“. (1)

2.2 Der interreligiöse Dialog setzt ein Nachdenken über die anderen Religionen und eine Theologie der Religionen voraus.ii Er ist aus christlicher Sicht keine Religionskunde, sondern benennt den positiven Ort anderer Religionen in heilsgeschichtlicher Sicht.

2.3 Der eigene Glaube und die eigene Tradition, aber ebenso der Respekt vor dem Glauben des anderen und seiner Tradition verbieten es, voreilig Gleichheitszeichen im interreligiösen Dialog zu setzen. Diese Anerkennung der Differenz ist die Stärke, nicht die Schwäche des Dialogs.

 

3. Die Eigenart des interreligiösen Dialogs

3.1 Der interreligiöse Dialog muss seine Grenzen kennen und akzeptieren. Erst in Anerkenntnis der eigenen Grenzen werden seine Möglichkeiten offenkundig. Der interreligiöse Dialog darf sich nicht überschätzen, er kann nicht alle Probleme im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft lösen. Der interreligiöse Dialog ist kein Instrument der Politik und darf sich nicht politisch instrumentalisieren lassen. Wohl kann er einen wichtigen und nicht zu unterschätzenden Beitrag zum gegenseitigen Verständnis leisten und damit zum friedlichen Miteinander beitragen.
Allerdings schwebt der interreligiöse Dialog auch nicht zeitlos über den Angelegenheiten der Politik und des alltäglichen Lebens. Er ist im „vorpolitischen Raum“ angesiedelt, aber deshalb nicht unpolitisch.

3.2 Aufgabe des Dialoges ist nicht, den Anderen über seine Religion zu belehren. Der Dialog beginnt mit dem Hören, dem gegenseitigen Hören. Er ist zuerst eine Übung im Hören, nicht im Dozieren. Als Christ möchte ich von einem Andersgläubigen nicht über angebliche Verfälschungen der Bibel belehrt werden; werde aber auch einen Andersgläubigen nicht über das Verständnis seiner heiligen Schrift oder Tradition aufklären wollen.
Im interreligiösen Dialog werden keine Noten in Religion verteilt und es steht nicht zur Debatte, wer guter und wer schlechter Gläubiger ist. Zu den Aufgaben des Dialoges gehört es, Fragen zu stellen – selbstverständlich gegenseitig und kritisch. Feinde des Dialoges sind nicht kritisches Befragen und Auseinandersetzung, sondern Gewalt und Zwang.

3.3 Eine gute dialogische Beziehung erweist sich darin, dass sie Streit verträgt.

 

4. Interreligiöser Dialog und das Interesse am Anderen

4.1 Ein interreligiöser Dialog, der diese Bezeichnung verdient, ist keine Strategie, um Unfälle zu vermeiden. Er ist auch kein Unternehmen mit bilateralen oder multilateralen Verhandlungen zur Sicherung der eigenen Grenzen, sondern zuerst Begegnung. Der interreligiöse Dialog beginnt mit dem Interesse am Anderen. Interesse bedeutet: Der Andere wird mir zur Frage und ich werde dem Anderen zur Frage. Auch hier gilt das Wort des israelischen Aphoristikers Elazar Benyoëtz: „Im Dialog antwortet man nicht auf Fragen, sondern Fragenden.“

4.2 In der Begegnung mit dem Fremden wird nicht nur das Fremde, sondern auch das Eigene zur Frage. Die Begegnung mit dem Anderen führt zu einer Vergewisserung des Eigenen.

4.3 Die Bedingungen und Strukturen, die Vorgehensweisen und Themen im interreligiösen Dialog sind planbar, nicht aber die Ergebnisse. Der offene und ehrliche Dialog verändert – alle Beteiligten. Und er bereichert alle.

4.4 Aber: Wer sich auf den Dialog einlässt - gerade auch auf den interreligiösen – kann enttäuscht werden. Aber das ist kein Grund nicht (wieder) zu beginnen.

 

5. Arten und Ebenen des interreligiösen Dialogs

5.1 Es sind Arten und Ebenen des interreligiösen Dialogs zu beachten und zu unterscheiden. Das Dokument „Dialog und Verkündigung“ nennt vier Arten des Dialoges (3): Der Dialog des Lebens, in dem Menschen, die Tür an Tür wohnen, ihre Sorgen und Nöte teilen und sich im Alltag begegnen; der Dialog des Handelns, in dem Christen und Nichtchristen gemeinsam für das Wohl der Menschen handeln; der Dialog des theologischen Austausches, in dem sich meist Spezialisten über die Inhalte ihres jeweiligen religiösen Erbes austauschen; der Dialog der religiösen Erfahrung, in dem Menschen ihre geistlichen Erfahrungen und ihren spirituellen Reichtum teilen..

5.2 Der interreligiöse Dialog darf nicht auf die akademische Ebene und auf das Expertengespräch begrenzt bleiben, sondern muss geerdet werden. Diese Erdung erfolgt im Dialog des Lebens, der in der aktuellen Situation so notwendig wie schwierig ist. Der „Dialog des Lebens“ beginnt nicht bei theologischen Fragen, sondern bei der alltäglichen Begegnung von Menschen unterschiedlicher religiöser Beheimatung. Er beginnt da, wo Menschen ihre Freude und Hoffnung, ihre Trauer und Angst im Alltäglichen teilen. Vielleicht ist die Bezeichnung „Dialog“ zu hoch gegriffen und es sollte in diesem Zusammenhang von Begegnung gesprochen werden.

5.3 Neben den Akademien muss es gelingen Orte der Begegnung und des Dialoges an der Basis zu entdecken. Kindergärten und Schulen, Universitäten und Stadtviertel können solche Orte sein. Wertvorstellungen und Erziehungsziele, Fragen des Menschenbildes und des Verständnisses von Gesellschaft sind wichtige Themen.

 

6. Zur Spiritualität des interreligiösen Dialogs

6.1 Der interreligiöse Dialog lebt in christlicher Sicht aus der Spiritualität dieses Dialogs. Seine tiefste Begründung und Verwurzelung findet er im dreifaltigen Gott. Das christliche Bekenntnis des trinitarischen Gottes schließt das Bekenntnis zu Gottes dialogischer Existenz ein.

6.2 Der Dialog ist nicht nur ein Gespräch, das exzellentes Wissen um die eigene und die fremde Religion sowie hohe Sensibilität für die Dialogpartner verlangt , sondern auch ein geistliches Geschehen, das vom Gebet und der Fürbitte getragen werden will. Der Dialog selbst muss, wenn er fruchtbar werden soll, zu einem geistlichen Prozess werden. „Es soll daran erinnert werden, dass der Beitrag der Kirche zum Dialog nicht vom Erfolg abhängt, was das gegenseitige Verständnis und die gegenseitige Bereicherung angeht; vielmehr entspringt er der göttlichen Initiative, mit der Menschheit in Dialog zu treten und dem Beispiel Jesu Christi, dessen Leben, Tod und Auferstehung dem Dialog seinen letztgültigen Ausdruck verliehen hat.“ (4)

6.3 Der interreligiöse Dialog als spirituelles Geschehen öffnet die Beteiligten nicht nur füreinander, sondern auf Gott hin, auf sein Wirken und seine Wahrheit, die aus christlicher Sicht auch im Glauben anderer Religionen ansichtig wird. Deshalb beschränkt sich der interreligiöse Dialog nicht auf Mitteilungen, sondern lädt zum Teilen von religiösen Erfahrungen ein.

6.4 Trotz aller Schwierigkeiten: Für die Kirche gibt es keine Alternative zum Dialog! „Der interreligiöse Dialog hat es der Kirche ermöglicht, die Werte des Evangeliums mit anderen Menschen zu teilen. Daher wird die Kirche ihren Einsatz im Dialog allen Schwierigkeiten zum Trotz unwiderruflich aufrechterhalten.“ (5)

 

Anmerkungen:

 (1) Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog/Kongregation für die Evangelisierung der Völker: Dialog und Verkündigung. Überlegungen und Orientierungen zum Interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi, 19. Mai 1991, Verlautbarung des Heiligen Stuhls Nr 102, Hg: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1991.

 (2) Vgl. zu diesem Themenbereich: Enzyklika REDEMPTORIS MISSIO Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages, Verlautbarung des Apostolischen Stuhls Nr. 100, 7. Dezember 1990, Hg: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1990; Dialog und Verkündigung, aaO; Internationale Theologenkommission: Das Christentum und die Religionen, 30. September 1996, Arbeitshilfen Nr. 136, Hg: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996; Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung DOMINUS IESUS. Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, 6. August 2000, Hg: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2000.

 (3) Vgl. Dialog und Verkündigung, aaO 42. Dieses Dokument greift in diesem Punkt zurück auf: Sekretariat für die Nichtchristen: Dialog und Mission. Gedanken und Weisungen über die Haltung der Kirche gegenüber den Anhängern anderer Religionen. In: O.R. dt., 14, 1984, 34/35, 10f.

 (4) Dialog und Verkündigung, aaO 53.

 (5) Aa0 54.

 

Der (hier leicht gekürzte) Artikel erschienen im Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hamburg, Hildesheim, Köln und Osnabrück im Oktober 2004. Wir bedanken uns für die Druckerlaubnis.

Der Autor ist Leiter des Referates für den Interreligiösen Dialog und Weltanschauungsfragen im Erzbistum Köln.