Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
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Germanische Neue Medizin - Ryke Geerd Hamer

Die Germanische Neue Medizin (GNM) ist eine hochproblematische weltanschauliche Strömung, die „schulmedizinische“ Behandlungen (abgesehen von "Notfallmedizin") im Grundsatz ablehnt. Leitendes Prinzip der GNM ist, dass Krankheiten auf psychische Konflikte oder Traumata zurückzuführen seien und daher nicht mit konventionellen Methoden behandelt werden sollten. Die GNM lehnt damit Krebstherapien wie die Chemotherapie ab, die nach heutigem Kenntnisstand die größtmöglichen Heilungschancen versprechen.

Die Germanische Neue Medizin (zunächst genannt „Neue Medizin“) wird 1981 von dem damaligen Krankenhausarzt Dr. med. mag. theol. Ryke Geerd Hamer begründet. Hamer erfindet die GNM als Reaktion auf einen persönlichen Schicksalsschlag: Kurz nach dem plötzlichen Tod seines Sohnes Dirk erkrankt Hamer selbst an Hodenkrebs. Die Krankheit führt er auf den „Konfliktschock“, den dieses Erlebnis in ihm ausgelöst habe, zurück. Er entwickelt aus dieser Beobachtung zunächst eine Theorie, die er als „Eiserne Regel des Krebses“ zusammenfasst. Diese Theorie besagt, dass jeder Krebserkrankung ein Schockerlebnis zugrunde liege. Dieses Schockerlebnis hinterließe Spuren im Gehirn, einen sogenannten „Hamerschen Herd“.
Jeder Erkrankung liege ein „Hamerscher Herd“ zugrunde, der angeblich auf Computertomographie-Aufnahmen zu sehen sei. Falls eine Lösung des zugrunde liegenden psychischen Konflikts gelinge, trete der Patient oder die Patientin in die Heilungsphase ein. Erkrankungen werden als „sinnvolle biologische Sonderprogramme“ betrachtet.
Basierend auf dieser Überzeugung formuliert Hamer fünf sogenannte biologische Naturgesetze („1. Die Eiserne Regel des Krebses, 2. Das Gesetz der Zweiphasigkeit aller Erkrankungen, 3. Das ontogenetische System der Tumoren, 4. Das ontogenetisch bedingte System der Mikroben, 5. Das Gesetz vom Verständnis einer jeden sogenannten Krankheit“).

Kernelemente der GNM, wie z.B. der Zusammenhang zwischen Konfliktschock und Krankheit, konnten nie wissenschaftlich nachgewiesen werden. Andere Methoden weisen auf ein magisches Verständnis hin: So soll das von Hamer gedichtete und eingesungene Lied „Mein Studentenmädchen“ eine „urarchaische Zaubermelodie“ sein. In Dauerschleife gehört soll das Lied laut GNM Panik, Psychosen und Krebs stoppen.

"Ob unsere germanischen Vorfahren schon gewußt haben, wie sie mit dem Zaubersang unseres höchsten Gottes Wodan (Odin) des Hohen, Panik, Krebs und Psychosen bannen konnten, vielleicht auch am Bett ihres kranken Kindes mit dem leise gesungenen Zaubersang ihr Kind heilen konnten?
… Wie die urarchaische Zaubermelodie Meines Studentenmädchens Panik, Krebs und Psychosen bannen, aber auch alle Menschen, besonders Kinder und Tiere beruhigen kann?"

Quelle: Online-Shop Germanische Heilkunde

Die GNM kann aus den genannten Gründen nicht als wissenschaftliche Theorie verstanden werden. Es handelt sich vielmehr um ein sehr eigenwilliges System weltanschaulicher Überzeugungen.

Spektakuläre Bekanntheit erlangen Hamer und die GNM im Mai 1995 mit dem Fall Olivia Pilhar: Der Österreicher Helmut Pilhar und seine Ehefrau entführen ihre eigene an Krebs erkrankte Tochter, um ihr die Chemotherapie zu „ersparen“ und bringen sie zu Hamer nach Spanien, um Olivia stattdessen mit Hilfe der GNM zu therapieren. Behörden bringen das Kind schließlich zurück nach Österreich, wo der Tumor entfernt wird. Helmut Pilhar und seine Frau Erika werden vor Gericht verurteilt. Pilhar ist bis zu seinem plötzlichen Tod im August 2022 einer der bekanntesten Anhänger der GNM und leitet den von Hamer 2008 gegründeten norwegischen Kleinverlag mit den Namen „Universitet Sandjeford“, über den die Lehren der GNM verbreitet werden

Schon 1986 wird Hamer die ärztliche Zulassung wegen Betrugs und psychischer Probleme entzogen. Er darf nicht mehr als Arzt praktizieren, wird in Deutschland und Österreich u.a. wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetzes mehrfach verurteilt und sitzt mehrjährige Haftstrafen ab. Als Reaktion auf seine Verurteilungen und Haftstrafen äußert sich Hamer wiederholt antisemitisch: Beispielsweise vermutet Hamer hinter der Kritik und Strafverfolgung seiner Methoden eine jüdische Verschwörung Auch heutzutage ist die Szene der GNM anfällig für Verschwörungstheorien. Helmut Pilhar schreibt auf seiner Website zum Thema Coronavirus: „Wenn man mit etwas offenen Augen durch die Welt geht, erkennt man an diesem Corona-Hype sehr gut die Handschrift des Deep State mit seinem Ziel, die Eineweltregierung zu installieren“

Die Aussagen der GNM finden aufgrund ihres einfachen, verständlichen Schemas großen Zuspruch: Die Ursache einer Krankheit ist in einer einfachen Tabelle abzulesen. Die ursächlichen „Konflikte“ sind thematisch so weit gefasst (z.B. „Trennungskonflikt“), dass sie auf die verschiedensten Lebenssituationen zutreffen können. Die Methoden der GNM verhelfen dem oder der Kranken zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit: Die GNM verlangt vom Patienten oder der Patientin, aktiv zu werden, der vermeintlichen Ursache der Krankheit auf die Spur zu kommen und den Konflikt zu lösen. Lässt sich die Krankheit jedoch nicht heilen oder verschlimmert sich der Zustand, dann hat der Patient laut der GNM beim Lösen seiner Konflikte versagt. Die GNM wird von Beobachtern mit mehreren hundert Todesfällen in Verbindung gebracht

Verbreitung und Ausmaß

Auch nach Hamers Tod im Juli 2017 werden seine Lehren durch seine Anhängerinnen und Anhänger weiterverbreitet. Verbreitung findet die GNM vor allem in der Szene der alternativen Heilungsmethoden, in der Impfkritikerszene, in esoterischen Gruppierungen und bei Verschwörungstheoretikern. Auch in der rechtsextremen Szene, z. B. unter völkischen Siedlern, sind die Lehren der GNM beliebt

In sozialen Medien sind die Lehren der GNM stark verbreitet: Bei Facebook existiert eine GNM-Gruppe mit fast 11.000 Mitgliedern (Stand Januar 2021). Gruppenmitglieder, die keinen medizinischen Hintergrund erkennen lassen, erteilen anderen Mitgliedern medizinische Ratschläge auf Basis der Lehren der GNM. Viele dieser Ratschläge laufen darauf hinaus, auch bei ernsthaften Erkrankungen keinen Arzt aufzusuchen. Stattdessen soll die psychische „Konfliktursache“ gelöst werden. Ein weiteres Feld, in dem GNM-Praktizierende und -Anhänger sehr aktiv sind, sind Online-Kongresse und „Webinare“ vor allem im Bereich „Selbstheilung“.

In den 2000er Jahren existierten in Deutschland zwischen 20 und 60 „Stammtische“ und „Studienkreise“ der GNM. Die Anzahl der aktuellen Studienkreise und der aktuellen Anhängerschaft ist nicht bekannt.

Das Leugnen schwerer Virenerkrankungen

Die GNM leugnet die Existenz von Viren und potenziell tödlich verlaufender Virenerkrankungen. Die GNM behauptet, dass die Existenz von Viren noch nie nachgewiesen werden konnte. Das gehäufte Auftreten von Virenerkrankungen, z.B. Masern in einer Schulklasse, sei nicht auf eine gegenseitige Ansteckung, sondern auf einen gemeinschaftlichen ursächlichen Konflikt zurückzuführen. Im Fall der Masern sei das z.B. ein Trennungskonflikt, weil die Lieblingslehrerin die Klasse verlassen habe. Die Frühjahrsgrippe werde nicht durch Grippeviren, sondern einen gleichzeitig auftretenden „Stinkekonflikt“ ausgelöst.

HIV/AIDS ist nach den Lehren der GNM eine Allergie gegen das sich unter der Vorhaut bildende Smegma. Die hohe Sterblichkeitsrate von AIDS erklären die Anhänger der GNM durch den „Konfliktschock“, den die Diagnose dieser Krankheit verursache und die „schulmedizinischen“ Behandlungen

Bei ernstzunehmenden Virenerkrankungen wie dem HI-Virus oder dem Coronavirus, können die Lehren der GNM auch für andere Menschen gefährlich werden. Beim HI-Virus sind Fälle von Übertragung auf der Grundlage des Irrglaubens, dass es das HI-Virus nicht gebe, bekannt. Auch zur Corona-Pandemie vertreten Anhänger und Anhängerinnen der GNM eine gefährliche Position: Sie behaupten, dass die Corona-Pandemie (wie angeblich alle anderen Epidemien und Pandemien auch) durch einen gemeinschaftlichen Konflikt zu erklären sei. Daher seien weder Abstand- und Hygienemaßnahmen noch Testen oder Quarantäne nötig. Auch vor dem Impfen warnen Anhänger der GNM: Impfen führe zu einem psychischen Konflikt, der wiederum Autismus und Epilepsie auslöse.

Die aufgeführten Aussagen der GNM zu Virenerkrankungen und Impfungen sind wissenschaftlich nicht haltbar und nachweislich falsch. Auch wenn von einer "Medizin" die Rede ist, muss doch angesichts der ideologischen Durchmischung und der fragwürdigen Thesen eher von einer Weltanschauung gesprochen werden, die für Kranke problematisch oder gar lebensgefährlich werden kann, wenn sie sich nur auf die Prinzipien der GNM verlassen.

Weiterführende Informationen

 

Der Spiegel, „Kampf gegen die Stärksten“, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9208312.html, Zugriff am 11. Januar 2021.

Michael Utsch, Krebs durch seelische Konflikte?, Die Germanische Neue Medizin von Dr. Hamer, in: Materialdienst 5 (2006), S. 186–189.

Grotepass, Christoph, Die "Germanische Neue Medizin" von Ryke Geerd Hamer, https://sekten-info-nrw.de/information/artikel/verschwoerungstheorien/die-germanische-neue-medizin-von-ryke-geerd-hamer, Zugriff am 28. Oktober 2020;

Amadeu-Antonio-Stiftung, "Die letzten von gestern, die ersten von morgen"?, Völkischer Rechtsextremismus in Niedersachsen, Amadeu-Antonio-Stiftung 2017.

Die Zeit, Diagnose: Aids, https://www.zeit.de/2013/28/hiv-mutter-kind-oesterreich/komplettansicht, Zugriff am 29. Oktober 2020.

Pressemitteilung der Deutschen Krebsgesellschaft vom 05.07.2005.