Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu religiösen und weltanschaulichen Strömungen

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Fernöstliche Bewegungs- und Spiritualitätsformen

Kriterien für die Rezeption fernöstlicher Bewegungs- und Spiritualitätsformen innerhalb der kirchlichen Bildungsarbeit und Seelsorge in der Erzdiözese München und Freising

 

Theologische Vorbemerkung

 

Die Frage des Verhältnisses des christlichen Glaubens zu fernöstlichen Religionen und deren spiritueller Praxis ist komplex. Sie wird gegenwärtig im Dialog der Religionen behandelt, der auf vielen Ebenen stattfindet. Basis dieses Dialogs auf katholischer Seite ist der vom Zweiten Vatikanischen Konzil festgehaltene Grundsatz, dass die katholische Kirche „nichts von alledem ab[lehnt], was in diesen Religionen wahr und heilig ist" (Nostra aetate 2).

Dieses Prinzip verbietet eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber fernöstlichen Spiritualitätsformen. Es gebietet hingegen eine differenzierte Prüfung der Vereinbarkeit mit dem christlichen Gottes-, Welt- und Menschenbild, eine Unterscheidung der Geister (vgl. 1 Kor 12,10; Ad gentes 18). Von einer Rezeption ausgeschlossen bleiben Praktiken und Deutungen dieser Praktiken, die in einem direkten Widerspruch dazu stehen: „Prüfet alles und behaltet das Gute“ (1 Thess 5,21). „Christliche Spiritualität“ meint ein Leben aus dem Geiste Jesu kraft des Heiligen Geistes. Sie basiert auf dem Glauben an die Inkarnation: Gottes Wort ist in Jesus, dem Juden, Mensch geworden in seiner ganzheitlichen und geschöpflichen Struktur aus Körper und Geist. Christliche Spiritualität soll Ausdrucksformen berücksichtigen, die dieser Ganzheitlichkeit des Menschen entsprechen. Denn nur in dieser Ganzheit kann der Mensch kraft des Heiligen Geistes Anteil bekommen am Gottesverhältnis Jesu. Fernöstliche Kulturen und Religionen bieten körperliche, von Bewegung geprägte Ausdrucksformen an, die eine ganzheitlich ausgerichtete christliche Spiritualität bereichern können. Diese stellen eine Möglichkeit dar, Menschen, denen traditionelle kirchliche Spiritualitätsformen fremd sind, Zugänge zur christlichen Spiritualität zu öffnen.

Bei der Frage der Rezeption fernöstlicher Bewegungs- und Spiritualitätsformen innerhalb der kirchlichen Bildungsarbeit und Seelsorge sind drei Handlungsfelder zu unterscheiden, die unterschiedliche Antworten verlangen:

  1. Rezeption des körperlichen Aspekts fernöstlicher Bewegungsformen innerhalb der Gesundheitsbildung (z.B. kirchliche Erwachsenenbildung, schulischer Religionsunterricht);
  2. Rezeption fernöstlicher Bewegungs- und Meditationsformen mit dem Ziel einer Integration indie christliche Spiritualität (unter dem Aspekt ihrer ganzheitlichen, die körperliche Dimensiondes Menschseins einbeziehenden Ausrichtung);
  3. Thematisierung von und Auseinandersetzung mit fernöstlichen Spiritualitätsformen samt ihres weltanschaulich-religiösen Hintergrunds im Rahmen von Veranstaltungen des interreligiösen Dialogs.

1) Fernöstliche Bewegungsformen innerhalb der kirchlichen Gesundheitsbildung

 

Die z.T. langjährigen Erfahrungen mit fernöstlichen Bewegungsformen innerhalb der kirchlichen und außerkirchlichen Bildungsarbeit – insbesondere mit Yoga, soweit es sich dabei um das Erlernen und Üben von körperlichen Posituren handelt, aber auch Tai Chi und Qi Gong – belegen ihren Wert im Hinblick auf die Suche heutiger Menschen nach Wegen zu innerer Ruhe und psychischem Gleichgewicht mit dem Ziel, den oft hektischen Lebensalltag besser bewältigen zu können.

Solche Kurse haben ihren Schwerpunkt klar auf der körperlich-seelischen Gesundheit. Soweit den Übungen innerhalb fernöstlicher Religionen auch eine religiöse Bedeutungsdimension zuerkannt wird, wird diese innerhalb der kirchlichen Gesundheitsbildung nicht näher ausgeführt. Dementsprechend sollen religiöse und weltanschauliche Begrifflichkeiten keine Anwendung finden. Insoweit fernöstliche Bewegungsformen geistige Präsenz fördern, begünstigen sie über den therapeutischen Effekt hinaus implizit eine zentrale Dimension auch christlicher Spiritualität.

Die Anleitenden fernöstlicher Bewegungsformen benötigen im Rahmen der Gesundheitsbildung die sportfachliche Kompetenz, die Übungen sachgerecht und gesundheitsfördernd einzusetzen. Anderweitige medizinisch-therapeutische Maßnahmen dürfen sie nicht verhindern.

2) Fernöstliche Bewegungs- und Meditationsformen innerhalb einer ganzheitlichen christlichen Spiritualität

Christliche Spiritualität sucht die Erfahrung der Gegenwart und Gemeinschaft Gottes und sieht darin das „Heil“ des Menschen verwirklicht, das sich nicht in einem durch Gesundheit geprägten Wohlbefinden erschöpft. Christliche Spiritualität ist deshalb davon geprägt, „Gott zu suchen und zu finden in allen Dingen“ (Ignatius v. Loyola) und aus der heilsamen Nähe zu ihm das Leben zu führen. Dabei weiß sie um die Begrenztheit und Vorläufigkeit irdischer Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis: „Wenn du es verstehst, ist es nicht Gott“ (Augustinus).

Fernöstliche Bewegungs- und Meditationsformen innerhalb einer ganzheitlichen christlichen Spiritualität zielen ab auf das achtsame Gegenwärtigsein und öffnen damit einen möglichen Raum weitergehender spiritueller Erfahrungen. Das geschieht zum einen in inhaltlichen, eher „gegenstandsbezogenen“ Formen von Meditationen und Gebeten und zum anderen in still verweilender Kontemplation. Auch dient der achtsame Vollzug der Bewegung selbst als eine Form kontemplativer Einübung.

Während die fernöstlichen Bewegungsformen und das achtsame Gegenwärtigsein, sowie das Erleben an sich wert- und religionsneutral sind, ist es das Interpretieren des Erlebten nicht, auch nicht die Auswahl von den „Gegenständen“ und Inhalten der Meditation und der Gebete.

Kriterien für die Rezeption fernöstlicher Bewegungs- und Spiritualitätsformen innerhalb christlicher Spiritualität braucht es also nicht für die Bewegungsformen an sich, sondern:

  1. für den Interpretationsrahmen des Erlebten,
  2. für die Auswahl von Inhalten und Methoden,
  3. die Anleitenden und ihre Beziehung zu den Angeleiteten
a) Kriterien für den Interpretationsrahmen des Erlebten:

 

Grundlegend für die Rezeption fernöstlicher Bewegungsformen innerhalb einer christlichen Spiritualität ist, dass das, was an spirituellem oder vermeintlich spirituellem Erleben geschieht, aus der Sicht des christlichen Glaubens an Gott interpretiert wird:

Christliche Spiritualität zielt – über die Erfahrung eines tieferen Selbst hinaus – auf die Begegnung und Gemeinschaft mit dem unverfügbaren, personalen Gott und ihrer Entfaltung in der Zuwendung zum Mitmenschen und der Verantwortung für die Schöpfung. Sie weiß sich dabei – jenseits menschlicher Disposition – ganz der gnadenhaften Zuwendung Gottes verdankt. Sie ist sich der Vorläufigkeit jeglicher spirituellen Erfahrung und der bleibenden Verwiesenheit des Menschen auf die endgültige Vollendung durch Gott, auf die sich die Hoffnung des Glaubens bezieht, bewusst. Die bleibende Unbegreiflichkeit Gottes treibt dazu an, in einen lebendigen und unabschließbaren Prozess der Wandlung und Reifung dieser Beziehung einzutreten.

b) Kriterien für die Auswahl von Inhalten und Methoden:

 

Fernöstliche Bewegungs- und Meditationsformen dienen innerhalb einer christlichen Spiritualität vorrangig der Einübung in das achtsame Gegenwärtigsein. Grundlegend dafür ist die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den Körper, sei es auf die körperliche Bewegung oder das Sitzen in Stille, ferner die Aufmerksamkeit für den Atem. Darüber hinaus können Inhalte und Gegenstände in die meditative Betrachtung einbezogen werden. Sie führen zum achtsamen Gegenwärtigsein, vertiefen es und dienen der bewussten und ausdrücklichen Ausrichtung auf die Gegenwart Gottes.

Soweit Inhalte und Gegenstände eine bewusste Ausrichtung auf die göttliche Präsenz zum Zweck haben, liegt die vorrangige Verwendung von Inhalten aus der Heiligen Schrift und der christlichen Tradition nahe. Daneben kommen auch Inhalte aus der mystischen Tradition der Weltreligionen in Frage, soweit sie dem christlichen Gottesglauben nicht direkt widersprechen.

c) Kriterien für die Anleitenden und ihre Beziehung zu den Angeleiteten:

Neben der sportfachlichen Kompetenz benötigen die Anleitenden fernöstlicher Bewegungs- und Spiritualitätsformen innerhalb einer christlichen Spiritualität weitere Kompetenzen:

  • die Fähigkeit, Menschen durch geeignete Übungen zu einer Haltung der körperlich-geistigenPräsenz anleiten zu können.
  • eine spirituelle, religiöse und theologische Deutungskompetenz. Diese schließt die Fähigkeitein, geeignete Inhalte und Gegenstände der Meditation auswählen zu können, vor allem imHinblick auf eine christlich orientierte Spiritualität.
  • die Fähigkeit, sich von einem „magischen“ Verständnis abzugrenzen, wonach bestimmte Meditationsobjekte oder Vollzüge notwendigerweise etwas in geistlicher Hinsicht bewirken.

Grundlegend für die Beziehung zwischen Anleitenden und Angeleiteten ist das christliche Menschenbild, das von der unantastbaren Würde aller Menschen ausgeht und von gegenseitiger Achtung geprägt ist. Als geistliche Begleiter haben die Anleitenden in Bezug auf die Begleiteten die Aufgabe des„Hebammendienstes“, der unterstützt, das verborgen Wachsende zu entdecken, statt vorzugeben, was das Richtige sei.

3) Thematisierung von und Auseinandersetzung mit fernöstlichen Spiritualitätsformen innerhalb von Veranstaltungen des interreligiösen Dialogs

Das Zweite Vatikanum fordert dazu auf, „mit Klugheit und Liebe“ das Gespräch und die Zusammenarbeit mit Bekennern anderer Religionen zu suchen, dabei Zeugnis vom eigenen Glauben zu geben und „jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, an(zu)erkennen, (zu) wahren und (zu) fördern“ (Nostra aetate 2).

Gerade die aszetischen Formen und die Meditation in Hinduismus und Buddhismus werden hier und in nachkonziliaren kirchlichen Äußerungen positiv gewürdigt. Der spirituelle und praktische Dialog bedarf der theologischen Reflexion und umgekehrt. So ist es Aufgabe der Kirche und ihrer Fachstellen, in Form von Fachtagungen, Publikationen, Fortbildungen für Haupt- und Ehrenamtliche sowie in der Erwachsenenbildung über andere Religionen und ihre spirituellen Traditionen und Praktiken zu informieren, das Verhältnis zum eigenen Glauben zu reflektieren, Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten, Unterschiede und Widersprüche herauszuarbeiten, aber auch mögliche Komplementaritäten zu entdecken. Dies setzt voraus und impliziert, dass auch Vertreter dieser Religionen in kirchlichen Kontexten zu Wort kommen dürfen und ein offener und kritischer Diskurs ermöglicht wird. Das schließt auch die Möglichkeit der Einladung von Personen ein, deren Positionen aus katholischer Sicht kritisch zu bewerten sind, wenn gleichzeitig durch weitere Referenten oder zumindest die Moderation eine kritische Auseinandersetzung und Darstellung der katholischen Lehre gewährleistet ist.

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Diese Kriterien gelten verbindlich für alle Einrichtungen der Erzdiözese München-Freising.

 

Axel Seegers 03/2020