Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu religiösen und weltanschaulichen Strömungen

Ein jahrelanger Rechtsstreit in der Schweiz zwischen der "Vereinigung der Jehovas Zeugen der Schweiz" und einer Mitarbeiterin der "Fachstelle für Sektenfragen infoSekta Zürich" (https://www.infosekta.ch/) ist im Mai 2020 zu Ende gegangen.

Anlass für die Klage der Zeugen Jehovas gegen die Fachstelle infoSekta war das Interview einer Mitarbeiterin von infoSekta auf dem Internetportal des Schweizer Tagesanzeigers im Juli 2015 unter dem Titel "Zeugen Jehovas reissen Familien auseinander".

Das Bezirksgericht Zürich hat die ehemalige Mitarbeiterin der Fachstelle infoSekta nach ausführlicher Prüfung vom Vorwurf der üblen Nachrede in allen Anklagepunkten freigesprochen (GeschäftsNr.: GG 180259-L/U). Diese hatte im Interview und in anderen Veröffentlichungen unter anderem die Einschätzung vertreten, dass die Vereinigung der Zeugen Jehovas "gegen elementare Grund- und Menschenrechte der Mitglieder" verstoße, wenn sie zum Beispiel ihren Mitgliedern "das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" vorenthalten. Auch die Praxis der Ächtung dürfe weiterhin - so das Bezirksgericht - als eine Art Mobbing bezeichnet werden. Die Ächtungspraxis sieht zum einen vor, dass getaufte Mitglieder, die sich vom Glauben abwenden oder gegen Vorschriften verstoßen, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden können. Zum anderen aber gebe es die Maßgabe, dass die anderen Zeugen Jehovas (und selbst engste Angehörige)  mit ihnen keinen Kontakt mehr pflegen dürften und selbst das Grüßen untersagt sei. Ferner ist es der Expertin laut Gerichtsurteil weiterhin erlaubt zu behaupten, dass die "Geschlossenheit des Systems und der dogmatische Glaube" "grundsätzlich sexuellen Missbrauch, speziell bei Kindern" fördere.

Das Bezirksgericht Zürich hat sich auch mit der Kritik an der sogenannten "Zwei-Zeugen-Regelung" auseinandergesetzt, derzufolge einem Verdacht auf eine Sexualstraftat nur nachgegangen werden dürfe, wenn es dafür mindestens zwei Zeugen gäbe: "Die Regel besagt, dass nur ein Zeuge einer Tat nicht ausreicht, eine Tat muss von einem zweiten Zeugen bestätigt werden. Kann also ausser dem Opfer selbst niemand den Missbrauch bezeugen und streitet der mutmassliche Täter die Tat ab, so wird nichts unternommen." Das Gericht hält nach Sichtung der Beweise fest, dass die Zwei-Zeugen-Regelung existiert und schriftlich immer noch verankert sei. Wenn die Expertin mit der so genannten "Zwei-Zeugen-Regel" die Gefahr sieht, dass "(Sexual-)Straftäter*innen nicht belangt werden und in der Gemeinschaft verbleiben", könne infoSekta hier laut Gericht zurecht auf die Untersuchungsergebnisse der australischen Behörden verweisen und davor warnen, dass die "Zwei-Zeugen-Regel" und andere religiöse Vorgaben (sexuelle) Gewalt gegenüber Kindern und Frauen in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas "begünstigen und vertuschen" helfe (so in der Presseaussendung vom 08. Juli 2020: https://www.infosekta.ch/media/pdf/200708_MM_Jzhelp_infoSekta.pdf).

Das Urteil des Bezirksgericht Zürich darf wohl mit Recht als ein wegweisendes Urteil bezeichnet werden, weil es die Untersuchungsergebnisse der australischen Behörden genauso wie die Erfahrungen von Betroffenen und ehemaligen Jehovas Zeugen berücksichtigt und schwerwiegende Probleme in Lehre und Organisation der Glaubensgemeinschaft offenlegt.

 

 

Axel Seegers, Juli 2020